Warum Modetheorie?

Mode gilt heute als normativer Orientierungswert mit breiter Semantik.

Akzeptiert man diese Prämisse, dann steht man vor einer Fülle von Fragen: Welches sind die historischen Voraussetzungen für die Entstehung des Mediums Mode? Welche Mechanismen bedingen seine historische Kontinuität? Welche historischen Funktionen erfüllte die sich beschleunigende Ausbreitung der Mode? Wie lässt sich die fortschreitende Ökonomisierung der Mode deuten? Welche Funktionen erfüllt der periodische Modenwechsel? Was bedeutet die Allgegenwart der Mode heute? Welche Funktionen hat die Mode für den Prozess der Individualisierung? Auf welche Weise prägt die Mode den Lebensstil? Welche Bedeutung hat die Mode für die mediale Öffentlichkeit? - Seit mehr als 500 Jahren legt die Fülle an beschreibender Modeliteratur durch die unterschiedliche Beantwortung dieser Fragen ein beredtes Zeugnis von der jeweils zeitgenössischen Gegenwart der Mode ab.

Bedeutsam ist aber nicht nur, wie sich die jeweils aktuelle Mode beschreiben lässt. Wichtig ist eine Analyse, die sich auf die Schnittstelle von ästhetisch-modischem Handeln und sozialer Ordnung bezieht.

Auf diese Schnittstelle – die ästhetische Sozialsymbolik der Mode – bezieht sich das Erkenntnisinteresse des Projekts modetheorie.de. Die Sozialsymbolik der Mode bildet als Forschungsobjekt die übergreifende Klammer für die verschiedenen Publikationen in mehr als 500 Jahren. Sie verbindet Andreas Musculus’ Predigt Vom Hosenteufel (1555) und Hanß Michael Moscheroschs A la Mode Kerauß (1650) mit Jean de La Bruyères Les caractères (1688) und Julius Bernhard von Rohrs Einleitung zur CEREMONIEL-Wissenschafft (1728). Sie verweist auf den Zusammenhang von David Humes Of the Standard of Taste (1757), Immanuel Kants Anthropologie (1760), Christian Garves Über die Moden (1792) mit Friedrich Justin Bertuchs Pandora oder Kalender des Luxus und der Moden (1787-1889), Ernst Moritz Arndts Über Sitte, Mode und Kleidertracht (1814) und Thomas Carlyles Sartor Resartus (1831).

Bis sich endlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein rudimentärer theoretischer Konsens herausbildet, etwa in den Schlüsseltexten von Friedrich Theodor Vischer, Mode und Cynismus. Beiträge zur Kenntnis unserer Culturformen und Sittenbegriffe (1878), Rudolph von Ihering, Das sociale Motiv der Mode (1881), Thorstein Bunde Veblen, Theorie der feinen Leute (1899), Werner Sombart, Wirtschaft und Mode (1902), Georg Simmel, Philosophie der Mode (1905) - und mit Roland Barthes’ Système de la mode (1967) in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine neue Theorieepoche beginnen kann.
Jeder der genannten Texte, aber auch jeder andere Titel der Bibliographie, kann wesentliche Aspekte zum Thema beitragen.

Die ästhetische Sozialsymbolik des Modischen bildet deshalb das ideelle Hintergrundsthema mit Sortierfunktion für die Titel der im Projekt modetheorie.de vorgestellten Auswahl-Bibliographie. Absicht ist, die Bedeutung der Sozialsymbolik der Mode für die Konstitution gegenwärtiger Lebenswelten aus historischer und systematischer Perspektive analysieren zu können. Es geht aus diesem Grunde nur bedingt um die modischen Formen selbst, sondern eher um deren Funktionen im gesellschaftlichen Austausch.

Aber auch jenseits dieses Konzepts werden die Bibliographie und die Texte ganz verschiedene Erwartungen erfüllen können.